Arbeitgeber müssen Arbeitnehmer vor Urlaubsverfall warnen

Bun­des­ar­beits­ge­richt setzt Vor­ga­ben des Euro­päi­schen Gerichts­hofs um: Kein auto­ma­ti­scher Ver­fall von nicht bean­trag­tem Urlaub.

Arbeitnehmer*innen ver­lo­ren nach deut­scher Rechts­la­ge bis­lang ihren Anspruch auf Urlaub ohne wei­te­res mit Ablauf des Jah­res, spä­tes­tens zu Ende März des Fol­ge­jah­res, wenn sie die­sen nicht bean­tragt hat­ten. Dem wider­sprach der Euro­päi­sche Gerichts­hof (EuGH): Arbeit­neh­mer dürf­ten ihre Ansprü­che auf Urlaub nicht auto­ma­tisch ver­lie­ren, nur, weil sie die­sen nicht bean­tragt haben.

Ein Ver­lust kann nach Ansicht des EuGH nur ein­tre­ten, wenn der Arbeit­ge­ber nach­weist, dass der Arbeit­neh­mer aus frei­en Stü­cken und in vol­ler Kennt­nis der Sach­la­ge dar­auf ver­zich­tet hat, den Urlaub zu neh­men. Außer­dem müs­se der Arbeit­ge­ber es dem Arbeit­neh­mer ermög­licht haben, den Urlaubs­an­spruch tat­säch­lich wahrzunehmen.

Mit sei­ner Ent­schei­dung vom 19. Febru­ar hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) die Vor­ga­ben des EuGH in sei­ner Vor­ab­ent­schei­dung vom 6. Novem­ber 2018 umge­setzt. Danach haben die Mit­glied­staa­ten die erfor­der­li­chen Maß­nah­men zu tref­fen haben, damit jeder Arbeit­neh­mer einen bezahlten
Min­dest­jah­res­ur­laub erhält.

Nach dem Bun­des­ur­laubs­ge­setz (BUrlG) ist es dem Arbeit­ge­ber vor­be­hal­ten, die zeit­li­che Lage des Urlaubs unter Berück­sich­ti­gung der Urlaubs­wün­sche des Arbeit­neh­mers fest­zu­le­gen. Die Vor­schrift zwingt den Arbeit­ge­ber damit zwar nicht, dem Arbeit­neh­mer von sich aus Urlaub zu gewäh­ren. Der Arbeit­ge­ber ist jedoch ver­pflich­tet den Arbeit­neh­mer zur Ver­wirk­li­chung des Urlaubs­an­spruchs anzuhalten.

Nach der Recht­spre­chung des EuGH hat der Arbeit­ge­ber, „kon­kret und in völ­li­ger Trans­pa­renz dafür zu sor­gen, dass der Arbeit­neh­mer tat­säch­lich in der Lage ist, sei­nen bezahl­ten Jah­res­ur­laub zu neh­men, indem er ihn – erfor­der­li­chen­falls förm­lich – auf­for­dert, dies zu tun“.

Hier­aus ergibt sich, so das BAG, dass der Arbeit­ge­ber dem Arbeit­neh­mer klar und recht­zei­tig mit­zu­tei­len hat, dass der Urlaub am Ende des Bezugs­zeit­raums oder eines Über­tra­gungs­zeit­raums ver­fal­len wird, wenn er nicht genom­men wird.

Was bedeutet „klar und rechtzeitig“?

Durch die BAG Ent­schei­dung wur­de klar­ge­stellt, dass Arbeit­ge­ber aktiv mit­zu­wir­ken haben, damit Arbeit­neh­mer ihren Urlaub wäh­rend des Urlaubs­jah­res in Anspruch nehmen.

Wenn Arbeit­neh­mer nicht „klar und recht­zei­tig“ dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den ihren (Rest)Urlaub zu neh­men, so geht die­ser Anspruch nicht wie bis­her ersatz­los unter. Wann ein Hin­weis recht­zei­tig kommt, hat­te das BAG jedoch nicht ent­schie­den. Es ist daher zu erwar­ten, dass
die­se Fra­ge in den kom­men­den Monaten/​Jahren eine gro­ße Streit­fra­ge sein wird, die die Arbeits­ge­richts­ge­richt­bar­keit beschäf­ti­gen dürfte.

Anspruch auf Erfüllung alter Urlaubsansprüche?

Soweit aus der Pres­se­mit­tei­lung des BAG ersicht­lich, dürf­ten auch noch alte und bis­her als ver­fal­len ange­se­he­ne Urlaubs­an­sprü­che grund­sätz­lich durch­setz­bar sein.

Dies gilt wahr­schein­lich aber nur dann, wenn die­se Ansprü­che nicht infol­ge ver­trag­li­cher Aus­schluss­fris­ten, gesetz­li­cher Ver­jäh­rung oder auf­grund einer Abgel­tungs­klau­sel im Auf­he­bungs­ver­trag aus­ge­schlos­sen sind.


Hier der Text der Pres­se­mit­tei­lung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 19. Febru­ar 2019:

Ver­fall von Urlaubs­an­sprü­chen – Oblie­gen­hei­ten des Arbeitgebers 

Der Anspruch eines Arbeit­neh­mers auf bezahl­ten Jah­res­ur­laub erlischt in der Regel nur dann am Ende des Kalen­der­jah­res, wenn der Arbeit­ge­ber ihn zuvor über sei­nen kon­kre­ten Urlaubs­an­spruch und die Ver­fall­fris­ten belehrt und der Arbeit­neh­mer den Urlaub den­noch aus frei­en Stü­cken nicht genom­men hat.

Der Beklag­te beschäf­tig­te den Klä­ger vom 1. August 2001 bis zum 31. Dezem­ber 2013 als Wis­sen­schaft­ler. Nach der Been­di­gung des Arbeits­ver­hält­nis­ses ver­lang­te der Klä­ger ohne Erfolg, den von ihm nicht genom­me­nen Urlaub im Umfang von 51 Arbeits­ta­gen aus den Jah­ren 2012 und 2013 mit einem Brut­to­be­trag iHv. 11.979,26 Euro abzu­gel­ten. Einen Antrag auf Gewäh­rung die­ses Urlaubs hat­te er wäh­rend des Arbeits­ver­hält­nis­ses nicht gestellt.

Die Vor­in­stan­zen haben der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat ange­nom­men, der Urlaubs­an­spruch des Klä­gers sei zwar zum Jah­res­en­de ver­fal­len. Der Klä­ger habe aber Scha­dens­er­satz in Form von Ersatz­ur­laub ver­lan­gen kön­nen, weil der Beklag­te sei­ner Ver­pflich­tung, ihm von sich aus recht­zei­tig Urlaub zu gewäh­ren, nicht nach­ge­kom­men sei. Mit der Been­di­gung des Arbeits­ver­hält­nis­ses sei der Ersatz­ur­laubs­an­spruch abzugelten.

Die Revi­si­on des Beklag­ten hat­te vor dem Neun­ten Senat des Bun­des­ar­beits­ge­richts Erfolg. Sie führt zur Zurück­ver­wei­sung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG sieht vor, dass Urlaub, der bis zum Jah­res­en­de nicht gewährt und genom­men wird, ver­fällt. Das galt nach bis­he­ri­ger Recht­spre­chung selbst für den Fall, dass der Arbeit­neh­mer den Arbeit­ge­ber recht­zei­tig, aber erfolg­los auf­ge­for­dert hat­te, ihm Urlaub zu gewäh­ren. Aller­dings konn­te der Arbeit­neh­mer unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen Scha­dens­er­satz ver­lan­gen, der wäh­rend des Arbeits­ver­hält­nis­ses auf Gewäh­rung von Ersatz­ur­laub und nach des­sen Been­di­gung auf Abgel­tung der nicht genom­me­nen Urlaubs­ta­ge gerich­tet war.

Die­se Recht­spre­chung hat der Senat wei­ter­ent­wi­ckelt und damit die Vor­ga­ben des Gerichts­hofs der Euro­päi­schen Uni­on auf­grund der Vor­ab­ent­schei­dung vom 6. Novem­ber 2018 (- C‑684/​16 – [Max-Planck-Gesell­schaft zur För­de­rung der Wis­sen­schaf­ten]) umge­setzt. Nach Maß­ga­be des § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG ist es dem Arbeit­ge­ber vor­be­hal­ten, die zeit­li­che Lage des Urlaubs unter Berück­sich­ti­gung der Urlaubs­wün­sche des Arbeit­neh­mers fest­zu­le­gen. Ent­ge­gen der Annah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts zwingt die Vor­schrift den Arbeit­ge­ber damit zwar nicht, dem Arbeit­neh­mer von sich aus Urlaub zu gewäh­ren. Aller­dings obliegt ihm unter Beach­tung von Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/​88/​EG (Arbeit­zeit­richt­li­nie) die Initia­tiv­last für die Ver­wirk­li­chung des Urlaubs­an­spruchs. Nach der Recht­spre­chung des Gerichts­hofs ist der Arbeit­ge­ber gehal­ten, „kon­kret und in völ­li­ger Trans­pa­renz dafür zu sor­gen, dass der Arbeit­neh­mer tat­säch­lich in der Lage ist, sei­nen bezahl­ten Jah­res­ur­laub zu neh­men, indem er ihn – erfor­der­li­chen­falls förm­lich – auf­for­dert, dies zu tun“. Der Arbeit­ge­ber hat klar und recht­zei­tig mit­zu­tei­len, dass der Urlaub am Ende des Bezugs­zeit­raums oder eines Über­tra­gungs­zeit­raums ver­fal­len wird, wenn der Arbeit­neh­mer ihn nicht nimmt.

Bei einer richt­li­ni­en­kon­for­men Aus­le­gung des § 7 BUrlG kann der Ver­fall von Urlaub daher in der Regel nur ein­tre­ten, wenn der Arbeit­ge­ber den Arbeit­neh­mer zuvor kon­kret auf­ge­for­dert hat, den Urlaub zu neh­men, und ihn klar und recht­zei­tig dar­auf hin­ge­wie­sen hat, dass der Urlaub ande­ren­falls mit Ablauf des Urlaubs­jah­res oder Über­tra­gungs­zeit­raums erlischt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird nach der Zurück­ver­wei­sung der Sache auf­zu­klä­ren haben, ob der Beklag­te sei­nen Oblie­gen­hei­ten nach­ge­kom­men ist.

Bun­des­ar­beits­ge­richt, Urteil vom 19. Febru­ar 2019 – 9 AZR 54115 -
Vor­in­stanz: Lan­des­ar­beits­ge­richt Mün­chen, Urteil vom 6. Mai 2015 – 8 Sa 98214